Interview mit der Siegerin des ersten Arberland Ultratrails über 100 Kilometer – Kristin aus Erfurt
Ein Lauf. Ein Ziel. Ein Meilenstein.
Am 20. September 2025 feierten wir ein echtes Trailrunning-Highlight im Bayerischen Wald: Die Premiere der 100-Kilometer-Strecke beim Arberland Ultratrail. Eine Herausforderung, die nicht nur physisch, sondern auch mental alles abverlangt – und dennoch von vielen mit Begeisterung und Hingabe gemeistert wurde.
Eine, die sich besonders in die Herzen der Zuschauer und Läufer:innen gelaufen hat, ist Kristin aus Erfurt. Mit einer überragenden Leistung sicherte sie sich nicht nur den Sieg im Frauenfeld, sondern erreichte auch Platz 6 gesamt – bei ihrer allerersten Teilnahme auf dieser Ultradistanz.
Nur wenige Tage nach dem Rennen durften wir mit ihr sprechen. Im Interview gibt sie ehrliche, persönliche und inspirierende Einblicke in ihre Vorbereitung, die Schlüsselmomente auf der Strecke und das unbeschreibliche Gefühl, als Siegerin ins Ziel einzulaufen.

Das Interview:
1. Zunächst einmal: Wie geht es dir jetzt, ein paar Tage nach dem Arberland Ultratrail – sowohl körperlich als auch mental?
Der Lauf war wirklich eine ordentliche Hausnummer für mich und hat mir alles abverlangt. Körperlich spüre ich den Ultratrail noch deutlich – der Muskelkater in den Beinen ist noch da und die Beine fühlen sich weiterhin ziemlich schwer an. Aber immerhin war heute schon eine kurze, lockere Laufeinheit möglich. Ich werde es in den nächsten ein bis zwei Wochen auf jeden Fall ruhig angehen lassen, damit mein Körper die nötige Regeneration bekommt.
Mental fange ich langsam an zu realisieren, was ich da eigentlich geleistet habe – dass ich den Arberland Ultratrail wirklich gelaufen bin und das Ganze sogar als erste Frau geschafft habe. Direkt nach dem Lauf habe ich zu meinem Mann gesagt, dass ich so etwas nie wieder machen werde. Aber inzwischen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Ich bin mir sicher: Es wird nicht mein letzter 100-Kilometer-Trailrun gewesen sein.
2. Was hat dich motiviert, dich für die 100 Kilometer zu melden – und was bedeutet dir dieser Sieg?
Nachdem ich bereits einige Ultraläufe absolviert habe, insbesondere mehrfach den Rennsteiglauf Supermarathon, war es schon lange mein großer Traum, endlich die „Schallmauer“ der 100 Kilometer zu durchbrechen. In den letzten beiden Jahren habe ich mich diesem Ziel immer mehr angenähert und es stärker in den Fokus genommen – aber dennoch nie den Mut gefunden, mich tatsächlich für einen 100-Kilometer-Lauf anzumelden.
Als ich dann die Ausschreibung vom ArberUltra gesehen habe, dass es 2025 erstmals eine 100-Kilometer-Strecke geben würde, war für mich klar: Das ist meine Chance. Endlich sollte es so weit sein – mein erster 100-Kilometer-Lauf!
Der Sieg bedeutet mir unheimlich viel. Ich stand dieses Jahr bereits zum dritten Mal bei euch an der Startlinie. Die beiden Male zuvor bin ich die 43,5-Kilometer-Strecke gelaufen und konnte jeweils gewinnen. Dieses Mal wollte ich nicht nur meine Premiere auf der 100-Kilometer-Distanz feiern, sondern auch bei meinem dritten Start wieder ganz vorne mitlaufen.
Mir war von Anfang an bewusst, dass das Rennen alles andere als einfach werden würde – aber ich habe gekämpft und alles gegeben. Am Ende durfte ich nicht nur meinen ersten 100-Kilometer-Ultratrail finishen, sondern wurde dafür auch noch mit dem ersten Platz belohnt. Darauf bin ich wirklich stolz.
3. Wie hast du dich auf dieses anspruchsvolle Rennen vorbereitet? Gab es spezielle Trainingsmethoden oder Routinen?
Eine spezielle Vorbereitung auf das Rennen hatte ich tatsächlich nicht. Ich komme aus Erfurt – da ist es bekanntlich eher flach, was das Training von Höhenmetern natürlich erschwert.
Deshalb musste ich kreativ werden: Ich habe den Fokus auf mehr Beinkraft gelegt, um sowohl die Anstiege als auch die technischen Abstiege gut meistern zu können. Bei meinen Longruns bin ich vor allem auf den Trails in meiner Umgebung unterwegs gewesen. Auch wenn diese nicht viele Höhenmeter bieten – auf maximal 450 Höhenmeter bei 35 Kilometern bin ich gekommen –, war es für mich wichtig, einfach konstant draußen zu sein und den Körper an lange Belastungen zu gewöhnen.
4. Gab es während des Laufs Momente, in denen du gezweifelt hast? Wenn ja, wie hast du dich da wieder rausgezogen?
Oh ja, solche Momente des Zweifelns gab es definitiv. Einer der heftigsten war, als ich nach der ersten Schleife – also nach rund 68 Kilometern – ins Stadion eingelaufen bin.
Für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, schon im Ziel zu sein. Mein Körper hätte nur allzu gerne aufgegeben – alles tat weh, und der Gedanke, jetzt einfach aufzuhören, war ziemlich verlockend. Aber mein Kopf erinnerte mich daran, dass meine Familie oben am Berg auf mich wartete, um mich anzufeuern. Aufgeben? Keine Option.
Außerdem wusste ich, dass meine Freunde auf der 20-Kilometer-Trailrunde unterwegs waren – ich hatte ihnen versprochen, dass ich sie einhole. Also: ran an die Verpflegungsstation, Flasks auffüllen, durchatmen – weiter geht’s.
Doch dann kam der Aufstieg zum Großen Arber – der hat mir ein zweites Mal komplett den Stecker gezogen. Meine Familie feuerte mich zwar begeistert an, aber in dem Moment konnte ich ihre Freude kaum aufnehmen. Ich war einfach nur leer. 72 Kilometer in den Beinen – der Kopf wollte noch, aber der Körper hatte andere Pläne.
Zum Glück waren da meine drei Männer, die mir mit ihren Zurufen neuen Mut gemacht haben. Ihre Worte haben mir wieder Energie gegeben, einfach Schritt für Schritt weiterzulaufen. Und das Wissen, dass so viele liebe Menschen mitfiebern, hat mich jedes Mal aus den Tiefs geholt.
Am Ende waren die Beine – erstaunlicherweise – immer noch bereit zu laufen. Die Anstiege fielen mir sogar leichter als die Downhills. Und als ich schließlich die letzte Verpflegungsstation am Bretterschachten sah, wusste ich: Jetzt ist es nicht mehr weit. Jetzt kann ich es schaffen – und tatsächlich als erste Frau durchs Ziel laufen. Ab da konnte mich nichts mehr aufhalten.
5. Und umgekehrt: Was war für dich der schönste Moment auf der Strecke – gab es einen „Flow“-Zustand oder Gänsehaut-Momente?
Einer der schönsten Momente war definitiv der Abschnitt in der Dunkelheit hinauf zum Großen Arber. Es war still, fast magisch – nur wir Läufer, die Nacht, der Wald. Diese Ruhe, diese Einsamkeit auf dem Trail hatte etwas ganz Besonderes.
Und dann, als die ersten Lichtstrahlen der Morgendämmerung den Himmel färbten und später beim Kleinen Arber die Sonne über die Berge stieg – das war pure Gänsehaut. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Genau das liebe ich am Trailrunning: das Eintauchen in die Natur, die Stille, das Laufen im eigenen Rhythmus – ganz ohne Trubel.
Und natürlich: mein Zieleinlauf. Als ich auf der letzten Abzweigung Richtung Stadion eingebogen bin, wusste ich – jetzt ist es wirklich gleich geschafft. Ich bekam sofort eine Gänsehaut. Am Rand standen meine Kinder, mein Mann, meine Freunde – alle haben gejubelt. Meine Kinder sind die letzten Meter bis zur Ziellinie mit mir gemeinsam gelaufen. Es war einfach ein Traum. Ich hatte meinen ersten 100-Kilometer-Trailrun gefinisht – und dann auch noch als Siegerin. Dieser Moment war überwältigend, ein unglaubliches Gefühl, das mir niemand mehr nehmen kann.
6. Wie hast du die Strecke selbst erlebt – landschaftlich, technisch, emotional?
Ich habe die Strecke als unglaublich abwechslungsreich und landschaftlich beeindruckend erlebt. Es war wirklich alles dabei: traumhafte Aussichten vom Gipfel des Großen Arber, mystische, fast märchenhafte Passagen entlang von Flussläufen, tiefe Wälder und offene Höhen. Jeder Abschnitt hatte seinen ganz eigenen Charakter – das hat das Rennen nie langweilig werden lassen.
Technisch war die Strecke für mich durchaus fordernd – gerade weil ich aus dem Flachland komme und solche Höhenmeter im Training kaum simulieren kann. Aber genau das hat den Reiz ausgemacht. Es war eine intensive Mischung aus staunen, kämpfen und genießen – emotional auf jeden Fall ein echtes Abenteuer.
7. Wie wichtig war die Unterstützung von außen – sei es durch andere Läufer*innen, Helfer oder dein eigenes Support-Team?
Die Unterstützung von außen war für mich unglaublich wichtig – besonders die meiner Familie. Zu wissen, dass sie an der Strecke auf mich warten, mich anfeuern und mitfiebern, hat mir in schwierigen Momenten wirklich Kraft gegeben. Ihre Präsenz weckt bei mir automatisch den Kampfgeist – da will ich nicht aufgeben, sondern es gerade deshalb bis ins Ziel schaffen.
Es bedeutet mir viel, wenn meine Familie bei solchen Herausforderungen an meiner Seite ist. Das gibt mir nicht nur emotionale Stärke, sondern macht das ganze Erlebnis einfach noch besonderer.
8. Was hast du aus diesem Lauf für dich persönlich mitgenommen – gibt es etwas, das du über dich selbst neu gelernt hast?
Ich habe gelernt, dass ich tatsächlich in der Lage bin, 100 Kilometer zu laufen – etwas, das vor einiger Zeit noch unvorstellbar für mich war. Natürlich hat der Körper irgendwann seine Limits, aber ich habe gespürt, wie viel mentale Stärke bewirken kann. Wenn der Wille stark genug ist, kann man über sich hinauswachsen.
9. Was würdest du jemandem raten, der oder die zum ersten Mal einen Ultratrail wie den Arberland 100k in Angriff nehmen möchte?
Ich würde auf jeden Fall raten, sich gut und rechtzeitig vorzubereiten – körperlich, aber auch mental. Ein 100-Kilometer-Ultratrail ist nicht nur eine sportliche, sondern vor allem eine mentale Herausforderung. Man sollte lernen, mit Höhen und Tiefen während des Laufs umzugehen.
Mindestens genauso wichtig ist aber, sich die Freude an diesem Abenteuer zu bewahren. Es ist eine unglaubliche Erfahrung, die Natur, die Strecke, die Menschen – das alles macht einen Ultratrail wie den Arberland 100k zu etwas ganz Besonderem.
10. Vervollständige diesen Satz: „Der Arberland Ultratrail ist…“
Der Arberland Ultratrail ist mehr als ein Lauf – er ist ein Erlebnis.
Wir sagen: Danke, Kristin!
Deine Offenheit, deine Leidenschaft und dein Durchhaltevermögen sind inspirierend. Wir freuen uns sehr, dass du Teil unseres ersten 100-Kilometer-Rennens warst – und wie! Gratulation nochmals zu dieser herausragenden Leistung. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder auf unseren Trails im Woid.
Eure Woidläufer
️